Hallo
DP,
ausgelöst durch einen aktuellen Fall, aber genährt durch Beobachtung über die Jahre hier, fällt mir etwas stark im Bezug zu den Jobangeboten auf: Wenn der potenzielle Arbeitgeber ein abgeschlossenes IT-Studium voraussetzt oder als wünschenswert angibt, schlägt ihm oftmals recht bald eine Portion Antipathie entgegen. Warum ist das so?
Wenn ich jemanden für eine Stelle suche, von der ich weiß dass sie gewisse Inhalte und/oder Arbeitsweisen erfordert, die i.A. erst in einem Studium vermittelt werden, halte ich solche Anforderungen zu äußern für eher fair gegenüber den potenziellen Bewerbern, indem ich nicht fälschlich eine anders gelagerte Arbeit suggeriere. Insbesondere sehe ich dabei auch den ausserfachlichen Anteil. Den, bei dem mir so ein "Wisch" von der Uni/FH attestiert, dass sich die Person im Streben nach dem Wunschberuf auch den Widrigkeiten und zugegebenermaßen dämlichen Abschnitten gestellt hat, und diese für ein größeres Gut gerne "erlitt". Darüber hinaus vermittelt einem ein Studium eine Arbeitsweise, die zwar in der freien Wirtschaft kaum haltbar ist, aber sie kennen gelernt zu haben sehr sehr wertvoll sein kann, da man sie in Teilen dennoch gut einbringen kann: Wissenschaftliches Arbeiten. Gerade das ist etwas, was man in den seltensten Fällen sich auch durch viel Berufserfahrung kaum aneignen kann, da es eben real kaum praktiziert wird. Die Methoden zu kennen halte ich aber für manche Arbeiten für sehr wichtig. Gerade wenn es nicht um Programmierer geht, sondern Entwickler.
Ich kann die Frage "warum ist das so?" für mich oftmals nur so beantworten: Da fühlte sich jemand mit ohne Studium auf den Schlipps getreten, und macht sich seiner scheinbaren Minderwertigkeitskomplexe Luft. Völlig unnötigerweise finde ich! Auf die meisten Ausschreibungen in denen nicht explizit darauf hingewiesen wird, dass es ein Akademiker sein MUSS, kann man sich auch aussichtsreich mit Erfahrung und Referenzen bewerben. Jeder Arbeitgeber der solche Bewerbungen direkt aussortiert wäre immens schlecht beraten, und zumindest der Großteil weiß doch wie die "echte Welt" tickt. Gerade bei älteren Bewerbern verschwimmen die Grenzen weitgehend für die meisten Positionen. Und mal anders herum gedacht: Bewirbt sich jemand ohne Studium auf eine anderweitig ausgeschriebene Stelle, sagt mir das doch schon mal eines: Entweder kann die Person nicht gut lesen, oder hat Eier in der Hose! In jedem Fall gucke ich genauer hin, was für gute Leute nur positiv sein kann.
Aber mal ganz unter uns: JA! Es
gibt einen Unterschied zwischen Studierten IT'lern und gelernten oder gar autodidaktischen. Und der kann absolut relevant für einen Job sein. Wer mit den Jobs für gelernte Informatiker nicht zufrieden ist, kann doch auch gerne noch ein Studium dran hängen. Gerade in unserer Branche finden sich auch genügend Nebentätigkeiten (oder gar duales Studium!) um in den 3-4 Jahren nicht finanziell am Grundeis lecken zu müssen. Und wer meint, dass ihm/ihr das Studium dann doch zu schwer wäre (ja, mit
allen Fächern darin, auch Mathe!), der hat sich soeben selbst eingestanden, dass es wirklich einen Unterschied gibt.
Das mag in Teilen etwas elitär klingen hier, aber die Denkweise "Ich mache IT, und zwar seit 20 Jahren, und deshalb bin ich für alles und jeden qualifiziert" halte ich für noch viel abgehobener und weltfremder. Das mag in den 80ern noch größtenteils gepasst haben, aber die Branche hat sich immens weiterentwickelt und diversifiziert, und ist im Punkt Komplexität auch alles andere als stehen geblieben. Fließend Pascal und C sprechen zu können ist heute kein Garant mehr dafür 100k€/a und täglich frisch geleckte Füße zu bekommen. Nein, stets doch funktionierende Programme zu schreiben auch nicht!
(Und komme mir jetzt keiner mit "es gibt aber auch total schlechte Akademiker, z.B. mein alter Kommilitone Klaus, der macht X und ...". Natürlich gibt es die. Die gibt es immer und überall. Studium zu haben ist eben auch keine Garantie nen Überflieger zu sein. Ebenso wie kein Studium zu haben keine Garantie dafür ist nix zu können. Das ist hoffentlich nicht nur mir klar.)
"When one person suffers from a delusion, it is called insanity. When a million people suffer from a delusion, it is called religion." (Richard Dawkins)