Ich verfolge in letzter Zeit immer öfter hier und anderswo Diskussionen um Delphi und den Weg, den Embarcadero da einschlägt. Vorallem mit Delphi (der
IDE) sind viele gestandene Entwickler unzufrieden. Wenn selbst Leute die ich schon seit Spotlight-Zeiten kenne inzwischen zu Visual Studio raten, dann muss etwas gravierend falsch laufen im Hause Embarcadero. Doch was ist es eigentlich, was falsch läuft? Hier mal meine persönlichen Ansichten.
Die IDE
Grundsätzlich finde ich die jetzige
IDE (habe XE4) durchaus gelungen. Ich muss dazu sagen, ich kam einst von Delphi 7 über ein kurzes Intermezzo mit XE2 zu meinem jetzigen XE4. Am Anfang war das eine gewaltige Umstellung für mich. Aber dann bin ich immer besser damit klar gekommen. Die Anordnung der einzelnen Bereiche finde ich übersichtlich, wenngleich auch ein 16:10-Bildschirm mit mindestens FullHD-Auflösung um vernünftig arbeiten zu können. Allerdings liegen die vielen kleinen Macken im Detail. So ist der Struktur-Baum in der Quellcode-Ansicht praktisch nutzlos, weil er immer voll aufgeklappt wird und bei längeren Klassen.Units schlicht unüberschaubar wird - da muss man sich eben mit CnPack behelfen. Das Refactoring funktioniert auch nur gefühltermaßen in 50% aller Fälle. Das Vierfach-Handling von Packages (32/64-Bit jeweils mit Debug und Release) könnte man auch einfacher lösen. TNotebook macht nur noch Stress, aber das haben wir ja anderweitig schon diskutiert. GlassSheet usw. funktioniert nicht wirklich toll, wenn man dann an jeder Stelle mit schwarzer Schrift plötzlich den Desktop durchscheinen sieht (Psychedelic Effect).
Die Frameworks
Das ist mir besonders in den letzten Wochen hier aufgefallen: Nach anfänglicher Euphorie über Firemonkey scheint hier allgemein Ernüchterung eingekehrt zu sein. Das Framework wird mehr schlecht als recht gepflegt und krankt an chronischer Featuritis ohne solide Basis. Dazu scheint der grundsätzliche Ansatz, das
GUI über
OpenGL zu rendern, inzwischen als Irrweg betrachtet zu werden. Zu viel Prozessorlast für nicht erkennbaren Nutzen, das frisst gerade auf Mobilgeräten Akkulaufzeit. Daneben müssen die nativen Controls des jeweiligen Hostsystems aufwendig "nachgebaut" werden und verhalten sich dennoch in Look&Feel nie 100%ig so wie die vom Nutzer gewohnten nativen Controls.
Die Compiler
Da ich persönlich eigentlich nur für Win64 kompiliere bin ich da im Moment eigentlich ganz zufrieden. Hier und da ein bisschen Ärger mit Alignment und Pointergrößen, aber ansonsten geht das schon. Nur hätte der x64-Compiler schon vor 10 Jahren kommen müssen. Leider scheint es da gerade bei den anderen Compilern arge Probleme zu geben. Der für iOS produziert Unmengen Bulkcode, der für Android arbeitet mit dem NDK statt dem
SDK (nur gelesen, keine eigenen Erfahrungen) und die Abteilung Linux, naja sagen wir mal
Still ruht der See.
Die Dokumentation und Hilfe
Da brauche ich nicht viel zu sagen, es reicht mir ein simples Zitat: "
Embarcadero Technologies verfügt zurzeit über keine zusätzlichen Informationen."
Die Geschäftspolitik
Ich weiß nicht wie es euch geht, aber Major-Release-Zyklen von einem halben Jahr sind für mich eher abschreckend als verlockend. Als Profi will ich nicht zweimal im Jahr die ganze
IDE neu aufsetzen. Dafür fehlt mir schlichtweg die Zeit. Außerdem war gerade das Hüh-und-Hott bei der iOS-Unterstützung zwischen XE2, XE3 und XE4 ein deutliches Zeichen völlig verfehlter Geschäftspolitik. Ich möchte mich bei den Frameworks (welches auch immer ich nun einsetze) vorallem auf eines verlassen können: Kontinuität und Zukunftssicherheit. Wenn ich mir vorstelle, ich baue heute ein großes und umsatzstarkes Projekt auf FMX und in ein, zwei Jahren wirft Emba eben mal fix Firemonkey wieder aus dem Portfolio, dann ist das für mich ein Grund für allerhöchste Vorsicht. Wahrscheinlich setzen auch deshalb so viele Delphianer nach wie vor auf die
VCL: Die ist das einzige, was seit Delphi 2 wirklich soetwas wie Konstanz gezeigt hat.
Die Community
Das ist jetzt nicht als Kritik an der
DP zu verstehen, aber: Wenn ich an die Zeit von 1995 bis 2005 zurück denke, da gab es auf den Seiten wie z.B. torry.net praktisch täglich neue Community-Komponenten. Mal gute, mal schlechte, manchmal auch verrückte. Aber daran sah man, es gab eine lebendige Community. Was haben wir heute: Praktisch nur noch kommerzielle Anbieter wie TMS, Devart & Co. Die machen zwar größtenteils einen sehr guten Job, aber mit Community hat das so viel zu tun wie Trabi mit Auto.
Die Preise
Machen wir uns nichts vor: Die Preisgestaltung seitens Emba ist einer der größten Community-Killer schlechthin. Früher gab es halbwegs brauchbare Personal- oder Turbo-Editions für lau oder wenig Geld. Damit haben z.B. auch viele Schulen gearbeitet. Zuerst wurden diese Editions immer weiter in den Funktionen beschnitten und schließlich ganz eingestellt. Unter 1000 Euro bekommt man heute kein brauchbares Delphi mehr. Wo bitte soll da der Nachwuchs für uns herkommen?
Ganz ehrlich: Ich liebe Delphi (die Sprache) für ihre Eleganz und Erlernbarkeit. Ich würde wahrscheinlich auch so schnell nicht aufhören. mit Delphi zu entwickeln. Aber: Die Sprache und die
IDE hängt seit Jahren den aktuellen Trends teilweise um eine Dekade hinterher (x64 mal als Paradebeispiel). Damit ist Delphi wirklich keine gute Basis zur Entwicklung für neue Plattformen, einfach weil die potentielle Kundschaft nicht bereit ist mal eben 10 Jahre zu warten bis man bestimmte Features bereitstellen kann.
Quo vadis Embarcadero?