Einzelnen Beitrag anzeigen

Benutzerbild von Gausi
Gausi

Registriert seit: 17. Jul 2005
885 Beiträge
 
Delphi 11 Alexandria
 
#316

AW: Wie geht es weiter mit Corona

  Alt 17. Mai 2020, 15:37
Die Frage, die mir nicht aus dem Kopf geht ist, ob sich "nach Corona" am Wirtschaftssystem etwas (grundlegend) ändert. Denn es zeigt sich doch grade (aus Dramaturgiegründen übertreibe ich mal maßlos), dass unser gesamtes Wirtschaftssystem dermaßen fragil ist, dass es ausreicht, wenn ein paar Leute ein bisschen Schnupfen kriegen, und alles geht den Bach runter.

Interessant fand ich die Äußerungen eines Wirtschafts-Professors in dem Kontext vor einigen Wochen, der den Lockdown u.a. mit dem Argument kritisiert hat, dass das Gerede von "exponentiellem Wachstum" ja nur Panikmache sei, weil das in der Natur nicht vorkommt, sondern sich irgendwann von alleine abschwächt. Die Hochrechnungen der Infektionszahlen wären allesamt Unsinn. Das ist natürlich auf der einen Seite richtig. Problem ist natürlich, dass die exponentielle Ausbreitung des Virus nicht stoppt, wenn die Intensivbetten voll sind. Sondern (sehr wahrscheinlich) erst (viel) später.

Interessant fand ich dann, dass allem Anschein nach dieses Faktum nicht auf die Wirtschaft übertragen wird. Denn die basiert weiterhin auf dauerhaftem exponentiellem Wachstum, und auch aktuell scheint mir da kein Umdenken stattzufinden. Diese (minimale) Transferleistung scheint (bisher) nicht möglich zu sein.

"Wachstum" ist immer noch das Maß aller Dinge. Es kommt ja auch vor, dass "die Märkte" schon "nervös" reagieren, wenn ein Unternehmen wie Apple eine Warnung herausgibt, dass die Beschleunigung des Gewinn-Anstiegs im nächsten Jahr etwas langsamer wird. Oder so ähnlich. Das ist dann - was - die dritte, vierte Ableitung des Gewinns?

Eine gewisse Zeit funktionierte das Wachstum hervorragend. Neue Technologien, neue Maschinen, mehr Produktion - alles prima. Aber nach der Auslagerung der Produktion ins Ausland (was uns jetzt grade derbe auf die Füße fällt) zur Lohnkostensenkung bleibt hier nicht viel mehr Raum für weiteres Wachstum. Wir behelfen uns mit immer schnelleren Kreisläufen, immer kürzeren Lebenszyklen der Produkte (alle zwei Jahre ein neues Smartphone), immer absurdere "Neuerungen" (TV: 3D, 4K, 8K, Handys mit einem Dutzend Kameras, ...). Dazu ein massives Wachstum des Dienstleistungssektors, den zu Corona-Zeiten aber kaum jemand braucht.

Und all das, um das Mantra vom ewigen Wachstum am Leben zu erhalten. Problem ist, wie wir grade merken: Es reicht eine relativ kleine Störung, und der aberwitzig schnelle Wirtschaftskreislauf kommt ins Stottern oder bricht komplett zusammen.

Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler. Ich habe keine Ansätze zur Lösung.

Aber ich hoffe, dass es möglich wird, ein System zu etablieren, in dem auch mittel- und langfristige Stabilität ein Güte-Kriterium wird, und der Fokus auf kurzfristige Gewinnmaximierung an Bedeutung verliert. Verbunden mit Konstruktionen, die tendenziell bei Störungen und (erzwungenem) "nichts-tun" erst einmal für einen Ausgleich sorgen, wo unser aktuelles System ja eher dazu neigt, Ungleichheiten immer weiter zu verstärken. Hört sich vielleicht nach ganz fiesem Sozialismus/Kommunismus an, aber das meine ich nicht. Das funktioniert ja auch nicht wirklich.

Irgendwie brauchen wir da was Neues. Das Dumme ist, dass das nur auf globaler Ebene funktionieren kann. Und solange Politik nur national agiert, die Wirtschaft aber global, und für die (Achtung, besorgte-Bürger-Wortwahl) "Eliten" das aktuelle System (noch) funktioniert, wird sich da kaum was ändern. Das vollkommen Absurde an der Geschichte ist dann, dass eben diese "besorgten Bürger", die von so einem Wechsel am meisten profitieren könnten, die wollen die nationale Politik stärken. Obwohl ein weitaus stärkeres internationales Zusammenarbeiten auf politischer Ebene dringend nötig wäre - angefangen z.B. beim Auflösen von Steuer-Oasen und einer Vereinheitlichung der Steuerpolitik für international agierende Konzerne.

Edit: Ich weiß, dass das hier vermutlich nicht weiter diskutiert werden sollte. Das würde eine ganz neues Fass aufmachen und viel zu weit führen. Ich denke halt nur, bzw. hoffe, dass wir als Gesellschaft aus dieser Krise etwas lernen können, das über "wie trage ich eine Maske richtig" und "was ist exponentielles Wachstum" hinausgeht. Denn diese Krise wird nicht die letzte derartige sein. Ich wollte es nur mal loswerden. Vielleicht auch mit Blick auf die Sinnlosigkeit der Debatte, was im Nachhinein betrachtet richtig oder falsch oder angemessen oder übertrieben war; und ob Merkels oder Trumps oder Chinas Strategie die beste war/ist/sein wird.
The angels have the phone box.

Geändert von Gausi (17. Mai 2020 um 16:20 Uhr)