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Codehunter

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#80

AW: Its time to say goodbye Windows XP

  Alt 29. Jan 2013, 09:47
Also die Diskussion um 2000 und XP ist ja eigentlich sowas von müßig. Denn wenn man mal ein bisschen zurück recherchiert sieht man, dass Windows 2000 eigentlich marketingtechnisch vollkommen nach hinten losging.

Geschichtlich gesehen pflegte Microsoft schon seit 1993 parallel zur etablierten DOS-Linie einen NT-Zweig, beginnend bei NT 3.1, welche von Anfang an als Gegenstück zur damals dominierenden Novell Netware angelegt war. Es konnte sich aber Anfangs nicht durchsetzen und Netware blieb Marktführer, insbesondere im Gespann mit den DOS-basierten Windows-Linien 3.0, 3.1, 3.11, 95 und 98. So war Microsoft praktisch gezwungen, beide Märkte zu bedienen um nicht vorzeitig im Business-Bereich den Markt an Novell zu verlieren. In der NT-Linie gelang der Marktdurchbruch dann mit NT 4.0 und Novell verlor die Marktführerschaft an Microsoft.

Jetzt sollte die aufwendige parallele Pflege zweier vollkommen verschiedener Windows-Kernel möglichst bald beendet werden. Also baute man die ganzen schicken Dinger wie USB-Unterstützung und DirectX in die nächste NT-Generation (5.0) ein und wollte die DOS-Linie sterben lassen. Die Jahrtausendwende sollte dafür unbedingt als Marketingeffekt genutzt werden.

Dummerweise gab es da ein zeitliches Problem: Während das NT 4 Service Pack 6 erst kurz vorher (Oktober 1999) herauskam, war das letzte 98er Release schon über ein halbes Jahr her und hatte keinen wirklichen Mehrwert geboten. Es zeichnete sich aber ab, dass die NT-Linie bis zum Jahr 2000 nicht fit für den Home- und SOHO-Markt gemacht werden konnte. Also verwarf man den Plan notgedrungen und veröffentlichte im Jahr 2000 wieder zwei Releases aus den beiden konkurrierenden Zweigen. Dabei wurden diese beiden optisch so sehr angeglichen, dass der spätere Umgewöhnungseffekt der DOS-User möglichst gering ausfallen würde. So wurde z.B. der native DOS-Modus in der ME-Version entfernt.

Wieder aus Marketing-Gründen wurden für beide Releases griffige "Jahrtausendwende-Namen" gewählt: Windows Millenium Edition und Windows 2000. Bei den Versionsnummern zeigte Microsoft bewusst, wer das Stiefkind ist: Windows 2000 bekam die Version 5.0, Windows ME dagegen "nur" die 4.90. Die beiden 2000er Releases glichen sich äußerlich wie Zwillinge und die Marketing-Abteilung hatte ein Erklärungsproblem. Also griff man kurzerhand zum einfachsten Instrument: Dem Preis. Während man ME für 170 DM verschleuderte, gab es 2000 für satte 800 DM.

Die Entwicklung von NT 5.0 für den Heimanwender wurde fortgesetzt, die Hardware-Anforderungen etwas reduziert, die Möglichkeit eines Verzichts auf den Verzeichnisdienst neu eingebaut und das bunte Luna-Theme als hübschen aber weitgehend wertfreien Köder für die Kiddies. Eigentlich ist Luna ja nichts weiter als Subclassing, das es für Windows 95 schon gab unter dem Namen Window Blinds.

Als dann ein Jahr später das nächste Release der NT-Reihe heraus kam war das tatsächlich nur ein Minor-Release, gut zu erkennen an der Versionsnummer 5.1. Für den Business-Bereich gab es tatsächlich kaum Neuerungen, weshalb man sich marketingtechnisch auf die Heimanwender konzentrierte. Für meine Begriffe hätte man vielleicht eine Haschpfeife mitliefern sollen, damit wäre zumindest das Standard-Desktop-Hintergrundbild erklärbar gewesen. Luna-Blau war für mich unerträglich, Luna-Silver ging so grade noch. Trotzdem blieb die Masse der Profianwender lieber beim klassischen 98er Windows-Style.

Große Fortschritte hatte die Gaming-Abteilung gemacht. DirectX war im Vergleich zu Windows 2000 wesentlich besser geworden, auch die Multimedia-Treiber unterstützten zum ersten Mal Geräte, die Win 2000 noch nicht kannte. Die Wachablösung für die DOS-Linie war erfolgt.

Um wieder auf das Thema zurückzukommen: Windows XP war tatsächlich nur ein Minor-Release der NT-Reihe.

Der nächste große Sprung sollte dann NT 6.0 werden mit einem neuen Dateisystem WinFS usw. Allerdings gabs da ein Dejavú allererster Güte: Die exorbitant lange Entwicklungszeit von über 8 Jahren, beginnend ab dem ersten Release von XP.

8 Jahre? Ja, ich hab mich nicht verrechnet. Das nächste Major-Release war eigentlich erst Windows 7. Weil aber vorallem die Aktionäre auf ein früheres Release drängten, veröffentlichte man etwas überhastet im Jahr 2007 Windows Vista. Dass es sich im Grunde nur um einen Entwickler-Snapshot handelte, merkte man schnell an der Usability, Vista wirkte von Anfang an unrund und hakelig. Spätere Service Packs brachten es zwar auf das Niveau von Windows 7, aber der Ruf war nachhaltig ramponiert.

Microsoft hätte gut daran getan, Vista noch eine 5er Versionsnummer zu geben und offiziell als Zwischenrelease zu verkaufen. Aber Marketing hat eben mit Vernunft nicht viel zu tun, also musste eine 6er Version her und alle Welt lachte über Microsoft und deren augenscheinliche Entwickler-Stümperei.

So wurde Vista so wie Windows 2000 zuvor zum ungeliebten, überhasteten Major-Release und Windows 7 genau wie XP zum technisch ausgereifteren Minor-Release. Die lange Entwicklungszeit der NT 6.x Version bescherte XP die längste Supportphase aller bisherigen Windowsversionen und damit einher gehend die größte Verbreitung. Die Beliebtheit von XP ist eigentlich nur ein Gewöhnungseffekt über eine ganze Dekade. Trotzdem war XP nur eine weitere Versionsnummer in einer ganzen Reihe. Man sollte sich nicht so sehr von Marketingnamen beeinflussen lassen.

Geändert von Codehunter (29. Jan 2013 um 09:55 Uhr)
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